At the beginning there is a division. Between the analogue and the digital image, between a temporal sequence and a spatial object, between the background noise and a composition, an atmosphere and a color, between the looking for a sentimental banality and the search for a compository balance. Between video and painting.
Being the final product of a search for atmospheres, emotions and tracks of a spatial migration and its emotional aftermath, the video works are a groundwork. Something I can't produce, but only retrieve, recognize and grasp. A kind of iconic image, that recaps my experiences and passes it on to the viewer, while it forms a sediment of my work.
Rooted in this there is the active work of painting. Filtered through my subconsciousness and triggered by my search, patterns, images, colors and compositions find their way onto the paper and canvas and begin to live a life on their own. These I plow through, looking for density, balance and light.
But as an object painting is also rooted in space. The spatiality plays a role on several levels. Besides the entanglement of the object-reality of the paintings and their motivic references to objects on a metaphorical level, the placement of the painting in the exhibition space is an important factor. Here you have to find a balance, a net, that settles over the perception of the space, or at least blends in, so the works can't be conceived as something brought into the space, but as something belonging to it and become to something firmly imprinted into the perception of the space as such.
That is not only to be understood as the fundament of a good presentation, moreover, it is inscribed in the essence and the spatial references of my works. By this means this kind of interaction with the surrounding space is a basic element of my work and every other kind contradicts its envisioned intent.
On the look out for these aspects I form one painterly series after another, out of which, stroke after stroke, form after form, image after image, the never in advance definable finished arises.
But why pattern? The patterns were suddenly there. Maybe for me the patterns are some kind of iconic images of painting. They give me the possibility to paint figurative and abstract at the same time. I don't have to choose. In a figurative way they enable the same timeless nature, which I am looking for in my photographic and video work. Another intersection, the crucial difference: while painting I am working with the space, in the video works with an emotionalized time.
Auch wenn ihre Inhalte aus der angewandten und dekorativen Kunst stammen, ist Anna Slobodniks Hauptanliegen durch und durch formal. „Ich versuche, herauszufinden, wie man eine Fläche am besten füllt“, sagt sie in Bezug auf „Ohne Titel, Zyklus Vasen“ (2022), 12 Leinwände, auf denen grob gezeichnete Vasen, Krüge, Karaffen und andere Gefäße dieser Art abgebildet sind. Obwohl mit Öl auf Leinwand gemalt, lassen sich die Arbeiten nur schwer als Malereien bezeichnen. Mal ist das flüssige Pigment zu einem Schatten verschmiert, mal ist damit nur eine schnelle Linie gezogen worden. Die verwischten Töne, meist unterschiedliche Nuancen von Schwarz, erinnern an Zeichenkohle, und die Pinselstriche im Hintergrund sind hastige Kritzeleien, auch wenn hier und dort Tropfen und Spritzer die Oberfläche des Bildes verunstalten. Die Vereinfachung der Bilder treibt jedes einzelne in die Abstraktion, besonders wenn sie nebeneinander oder in einem Raster ausgestellt werden. Jede Form wird trotz der Unterschiede, zu einer weiteren Iteration in einem größeren Muster.
Die Basis von Anna Slobodniks Bildern bilden erfundene Muster, die von Teppichen, Vorhängen und anderen Gegenständen der häuslichen Sphäre inspiriert sind—ähnlich der Ästhetik in der Datscha ihres Vaters, die sie 2015 für ihr Folio „From Russia with Love“ fotografierte. Getreu dem Klischee slawischer Interieurs sind die Räume voll mit stilisierten Blumen, Holzpaneelen, Karos, Spitzen, Streifen, Velours und allen anderen möglichen Formen und Texturen. Durch ihr Nebeneinander wird die räumliche Wahrnehmung verzerrt und der gelebte Raum auf eine texturierte Fläche reduziert. Häufig wirken die Zimmer dadurch beengt, abgeschlossen, sogar klaustrophobisch. Auf einem Foto steht ein mit einem geblümten Wachstuch bedeckter Tisch hinter einer Wäscheleine, die von einer holzgetäfelten Wand zur nächsten gespannt und mit karierten Hemden behängt ist. Eine Leiter ist in einer Ecke abgestellt, umgeben von einem Haufen unentzifferbarer Gegenstände. Ihr Vater, so scheint es, war ebenfalls daran interessiert, herauszufinden, wie man einen Raum am besten füllen kann.
Die Kluft zwischen den kompositorischen Entscheidungen von Slobodnik und ihrem Vater spiegelt die hierarchische Trennung zwischen Kunst und Handwerk wider. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde diese Trennung von zahlreichen Künstlern in Frage gestellt, unter anderem von den Bauhaus-Künstlern oder der russischen Avantgarde. In ihrem visuellen Vokabular hat Slobodnik jedoch mehr mit der amerikanischen Bewegung „Pattern and Decoration“ gemein, die Mitte der 1970er bis 80er Jahre aktiv war. Als postsowjetisches Kind der 90er Jahre wuchs sie, wie viele ihrer Generation, mit einer heruntergereichten amerikanischen Ästhetik auf. Die Wahl ihrer Farben und die Präsentation ihrer Arbeiten zeugt davon. Slobodniks farbenfrohe, quadratische Bilder werden in Anlehnung an Carl Andre oftmals in Rastern auf dem Boden installiert. In einer anderen Werkserie, deren Motive stark an Hermes-Schals erinnern, sind die dekorativen Muster jeweils auf vier großen, zusammen ein Kreuz formenden Papieren gemalt; in einer weiteren gemusterte Leinwandrollen über eine drei Meter hoch in der Luft hängende Stange drapiert. Ihr Umgang mit dem Galerieraum – ebenfalls eine Leere, die gefüllt werden will – erinnert an Tina Girouards Installationen aus gemusterten Textilien, die in weiten Bögen von der Decke gehängt oder auf dem Boden ausgelegt wurden. Sowohl Girouard als auch Slobodnik betrachten häusliche Muster als Form und installieren sie auf eine Weise, die sie der Architektur annähert. Eine weitere Parallele findet sich zu Robert Zakanitch, der mit seinen monumentalen Blumenmustern die Intimität von Kissenbezügen und Bettlaken in die Dimensionen des modernistischen Machismo übersetzt. Es ist kein Zufall, dass Zakanitch als minimalistischer Maler begann, der sich später in der Ausweglosigkeit der Dogmen Clement Greenbergs verstrickte um schließlich Blumen zu malen.
Durch die Verwendung des Volkstümlichen zur Untersuchung der kompositorischen Möglichkeiten einer Fläche, transformiert Slobodnik das dekorative Motiv zur Form. Die Grundlage dafür bilden die Flächigkeit und die Ausarbeitung der einzelnen Arbeiten. Die sich wiederholenden Formen sind weniger modelliert als vielmehr mit Pastell- oder Buntstiften ausgemalt; die hauchdünnen Farbschichten überlagern sich eher als dass sie ineinander übergehen. Sloboniks dekorative Neigung wird – durch die Gleichmäßigkeit der Oberfläche, die sie allerdings durch ihre dreidimensionale Installation entgegenzuwirken versucht – in einem Greenbergschen Sinne malerisch. Dabei wird jedoch nicht nur das Dekorative zum Formalen. Die Wirkung wird ebenso umgekehrt und wandelt die modernistische Malerei zum Dekor. Dies geschieht sowohl in Slobodniks fertigen Bildern als auch in ihren formalen Überlegungen, gespiegelt von denen ihres Vaters in seiner Datscha. In ihren Bildern wirft Slobodnik eine Reihe von Fragen auf: Was ist der Unterschied zwischen einem sich wiederholenden Blumenarrangement und den fraktalen Verschüttungen von Jackson Pollock, zwischen dem Muster einer Tischdecke und den sich wiederholenden Linien von Frank Stella oder den pulsierenden Mustern von Sol Lewitt? Und was ist überhaupt der Unterschied zwischen der einzigartigen Nutzung eines Galerieraums und dem neuesten platzsparenden IKEA-Zimmerdesign? In jedem der Fälle bewegt man sich jeweils in einem abgesteckten Raum. Für Greenberg war es die flache Leinwand, für Slobodniks Vater die Datscha und für Slobodnik selbst die erweiterte Bildebene.
Dagmara Genda, Künstlerin und Kunstkritikerin
In den Bildwerken von Anna Slobodnik bilden Muster, Rapporte und Abfolgen im Zusammenspiel mit Farben und Flächen, die in unterschiedlicher Dichte und Kontur dargestellt sind, die strukturelle Basis. Die Künstlerin ist interessiert daran, dass in diesen Symmetrien und Asymmetrien der Muster und Ornamente, „einerseits immer die Bildfläche als Fläche mit abgebildet (ist), gleichzeitig aber selbst eine Motivik entwickeln kann, die über diese Bildfläche hinausgeht“ (Artist Statement 2018).
Die Titel ihrer Bild-Zyklen wie Teppich und Tapete, sind das Gerüst ihrer künstlerischen Fragestellung, Muster und Ornamente wiederum ihre bildgebenden Elemente. Aber warum Muster und Ornamente? Steinzeitliche Ton-Krüge sind bereits mit Ornamenten verziert. Ornament und Muster gehören ebenso zur Architektur, sind in Kirchen, Kathedralen und Kreuzgängen sowie anderen Bauelementen wie Säulen, Erkern und als Stuck an Decken oder Hauseingängen zu finden. Abstrakt können sie ebenso als Stammeszeichen, bzw. Clanmuster, wie als Arabeske in der islamischen Kunst fungieren. Bildmächtig stehen Ornamente und Muster zwischen angewandter und bildender Kunst, sind nicht nur Beiwerk: Denn Muster und Ornament sind seit je her kulturell kodiert, bilden eine Bildmatrix mit eigenen Gesetzen, die grundlegend für eine Vielfalt anderer Darstellungsmöglichkeiten sein kann. Sie sind Schwergewichte, da ihre Funktionen Tiefgang haben. Stets sind sie auch Ausdruck transkultureller Vorgänge, können ebenso als politische Camouflage wirksam sein, da sie soziale Dimensionen als visuelle und stilistische Dispositive beinhalten.
Anna Slobodnik greift sie in ihren Arbeiten nunmehr konzeptionell als Ordnungsstrukturen des Sichtbaren auf.
Der kulturelle Transport läuft im Bildverständnis der Künstlerin im Hintergrund mit. Doch geht es ihr nicht darum historische Muster von Teppichen, Kacheln, Stoffen, Bauelementen & co. zu zitieren, sondern lehnt sich nur formal daran an, entwickelt ihre eigene Formensprache.
Auch in ihren sogenannten Legearbeiten greift die Künstlerin diese äußeren Merkmale auf. In dieser Serie, fügt Slobodnik stets gleich große, bemalte Papier- oder Leinwand-Teile zu einem größeren Bild, zusammen. Innerhalb eines einzelnen kleinen Segments haben die darauf gezeichneten Muster ihre eigene Ordnung, die wiederum im Zusammenspiel des zusammengesetzten ganzen Bildes eine übergeordnete Formensprache entwickeln und im Verbund mit der Architektur, den Fenstern, Türen und Möbeln wiederum sich anders im größeren Rahmen zueinander verorten. Mit diesem Shift von Bild und Objekt, Fläche und Inhalt befragt Anna Slobodnik die Systeme nach ihrer Haltbarkeit, Zusammensetzung oder allgegenwärtigen Herrschaft?
Dr. Heike Fuhlbrügge, Kuratorin und Kunsthistorikerin
Die Lithographien der jungen Berliner Künstlerin Anna Slobodnik setzen sich mit der Funktion von geometrischen Formen und Mustern auseinander – wie diese im politischen Kontext, in der Religion und auch in einer Alltagskultur verwendet werden, zu der unter anderem Teppiche, Stoffe und Tapeten gehören (bis zum 18. Januar in der Rathaus-Galerie Berlin-Reinickendorf). Auf den ersten Blick scheinen ihre Arbeiten klar geordnet. Berechenbar aber ist diese Ordnung nicht. Genau genommen ist kein Viereck wie das andere, kein Kreis entspricht dem neben dran – so wie jeder Mensch zu einem Ornament eine eigene Beziehung hat, die Teil seiner Wahrnehmung ist – uns so wirft Slobodnik die Frage auf: Was ist echt und was von Menschen als Wirklichkeit konstruiert? Man denkt, wenn man die Lithographien der 28-Jährigen sieht, die an der UdK Berlin studiert hat, an Sonia Delaunay. Slobodnik sagt, ihr Interesse sei auf die Zeit zurückzuführen, als ihre Eltern mit ihr als Kind aus Russland nach Deutschland kamen. „In der russischen Kultur, ebenso wie in der arabischen, ist das Muster ein sehr präsentes Element.“ Sie sei an den möglichen Zusammenhängen zwischen Muster und persönlicher kultureller Identität interessiert: ihrer eigenen ebenso wie der anderer Menschen, auch an der Frage, welche Bedeutung Muster als (Wieder-)Erkennungszeichen und identitätsstiftendes Moment haben.
Anne Ameri-Siemens, Autorin
veröffentlicht in: FAZ Nr. 47, 25.11.2018 S.46
At the beginning there is a division. Between the analogue and the digital image, between a temporal sequence and a spatial object, between the background noise and a composition, an atmosphere and a color, between the looking for a sentimental banality and the search for a compository balance. Between video and painting.
Being the final product of a search for atmospheres, emotions and tracks of a spatial migration and its emotional aftermath, the video works are a groundwork. Something I can't produce, but only retrieve, recognize and grasp. A kind of iconic image, that recaps my experiences and passes it on to the viewer, while it forms a sediment of my work.
Rooted in this there is the active work of painting. Filtered through my subconsciousness and triggered by my search, patterns, images, colors and compositions find their way onto the paper and canvas and begin to live a life on their own. These I plow through, looking for density, balance and light.
But as an object painting is also rooted in space. The spatiality plays a role on several levels. Besides the entanglement of the object-reality of the paintings and their motivic references to objects on a metaphorical level, the placement of the painting in the exhibition space is an important factor. Here you have to find a balance, a net, that settles over the perception of the space, or at least blends in, so the works can't be conceived as something brought into the space, but as something belonging to it and become to something firmly imprinted into the perception of the space as such.
That is not only to be understood as the fundament of a good presentation, moreover, it is inscribed in the essence and the spatial references of my works. By this means this kind of interaction with the surrounding space is a basic element of my work and every other kind contradicts its envisioned intent.
On the look out for these aspects I form one painterly series after another, out of which, stroke after stroke, form after form, image after image, the never in advance definable finished arises.
But why pattern? The patterns were suddenly there. Maybe for me the patterns are some kind of iconic images of painting. They give me the possibility to paint figurative and abstract at the same time. I don't have to choose. In a figurative way they enable the same timeless nature, which I am looking for in my photographic and video work. Another intersection, the crucial difference: while painting I am working with the space, in the video works with an emotionalized time.
Auch wenn ihre Inhalte aus der angewandten und dekorativen Kunst stammen, ist Anna Slobodniks Hauptanliegen durch und durch formal. „Ich versuche, herauszufinden, wie man eine Fläche am besten füllt“, sagt sie in Bezug auf „Ohne Titel, Zyklus Vasen“ (2022), 12 Leinwände, auf denen grob gezeichnete Vasen, Krüge, Karaffen und andere Gefäße dieser Art abgebildet sind. Obwohl mit Öl auf Leinwand gemalt, lassen sich die Arbeiten nur schwer als Malereien bezeichnen. Mal ist das flüssige Pigment zu einem Schatten verschmiert, mal ist damit nur eine schnelle Linie gezogen worden. Die verwischten Töne, meist unterschiedliche Nuancen von Schwarz, erinnern an Zeichenkohle, und die Pinselstriche im Hintergrund sind hastige Kritzeleien, auch wenn hier und dort Tropfen und Spritzer die Oberfläche des Bildes verunstalten. Die Vereinfachung der Bilder treibt jedes einzelne in die Abstraktion, besonders wenn sie nebeneinander oder in einem Raster ausgestellt werden. Jede Form wird trotz der Unterschiede, zu einer weiteren Iteration in einem größeren Muster.
Die Basis von Anna Slobodniks Bildern bilden erfundene Muster, die von Teppichen, Vorhängen und anderen Gegenständen der häuslichen Sphäre inspiriert sind—ähnlich der Ästhetik in der Datscha ihres Vaters, die sie 2015 für ihr Folio „From Russia with Love“ fotografierte. Getreu dem Klischee slawischer Interieurs sind die Räume voll mit stilisierten Blumen, Holzpaneelen, Karos, Spitzen, Streifen, Velours und allen anderen möglichen Formen und Texturen. Durch ihr Nebeneinander wird die räumliche Wahrnehmung verzerrt und der gelebte Raum auf eine texturierte Fläche reduziert. Häufig wirken die Zimmer dadurch beengt, abgeschlossen, sogar klaustrophobisch. Auf einem Foto steht ein mit einem geblümten Wachstuch bedeckter Tisch hinter einer Wäscheleine, die von einer holzgetäfelten Wand zur nächsten gespannt und mit karierten Hemden behängt ist. Eine Leiter ist in einer Ecke abgestellt, umgeben von einem Haufen unentzifferbarer Gegenstände. Ihr Vater, so scheint es, war ebenfalls daran interessiert, herauszufinden, wie man einen Raum am besten füllen kann.
Die Kluft zwischen den kompositorischen Entscheidungen von Slobodnik und ihrem Vater spiegelt die hierarchische Trennung zwischen Kunst und Handwerk wider. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde diese Trennung von zahlreichen Künstlern in Frage gestellt, unter anderem von den Bauhaus-Künstlern oder der russischen Avantgarde. In ihrem visuellen Vokabular hat Slobodnik jedoch mehr mit der amerikanischen Bewegung „Pattern and Decoration“ gemein, die Mitte der 1970er bis 80er Jahre aktiv war. Als postsowjetisches Kind der 90er Jahre wuchs sie, wie viele ihrer Generation, mit einer heruntergereichten amerikanischen Ästhetik auf. Die Wahl ihrer Farben und die Präsentation ihrer Arbeiten zeugt davon. Slobodniks farbenfrohe, quadratische Bilder werden in Anlehnung an Carl Andre oftmals in Rastern auf dem Boden installiert. In einer anderen Werkserie, deren Motive stark an Hermes-Schals erinnern, sind die dekorativen Muster jeweils auf vier großen, zusammen ein Kreuz formenden Papieren gemalt; in einer weiteren gemusterte Leinwandrollen über eine drei Meter hoch in der Luft hängende Stange drapiert. Ihr Umgang mit dem Galerieraum – ebenfalls eine Leere, die gefüllt werden will – erinnert an Tina Girouards Installationen aus gemusterten Textilien, die in weiten Bögen von der Decke gehängt oder auf dem Boden ausgelegt wurden. Sowohl Girouard als auch Slobodnik betrachten häusliche Muster als Form und installieren sie auf eine Weise, die sie der Architektur annähert. Eine weitere Parallele findet sich zu Robert Zakanitch, der mit seinen monumentalen Blumenmustern die Intimität von Kissenbezügen und Bettlaken in die Dimensionen des modernistischen Machismo übersetzt. Es ist kein Zufall, dass Zakanitch als minimalistischer Maler begann, der sich später in der Ausweglosigkeit der Dogmen Clement Greenbergs verstrickte um schließlich Blumen zu malen.
Durch die Verwendung des Volkstümlichen zur Untersuchung der kompositorischen Möglichkeiten einer Fläche, transformiert Slobodnik das dekorative Motiv zur Form. Die Grundlage dafür bilden die Flächigkeit und die Ausarbeitung der einzelnen Arbeiten. Die sich wiederholenden Formen sind weniger modelliert als vielmehr mit Pastell- oder Buntstiften ausgemalt; die hauchdünnen Farbschichten überlagern sich eher als dass sie ineinander übergehen. Sloboniks dekorative Neigung wird – durch die Gleichmäßigkeit der Oberfläche, die sie allerdings durch ihre dreidimensionale Installation entgegenzuwirken versucht – in einem Greenbergschen Sinne malerisch. Dabei wird jedoch nicht nur das Dekorative zum Formalen. Die Wirkung wird ebenso umgekehrt und wandelt die modernistische Malerei zum Dekor. Dies geschieht sowohl in Slobodniks fertigen Bildern als auch in ihren formalen Überlegungen, gespiegelt von denen ihres Vaters in seiner Datscha. In ihren Bildern wirft Slobodnik eine Reihe von Fragen auf: Was ist der Unterschied zwischen einem sich wiederholenden Blumenarrangement und den fraktalen Verschüttungen von Jackson Pollock, zwischen dem Muster einer Tischdecke und den sich wiederholenden Linien von Frank Stella oder den pulsierenden Mustern von Sol Lewitt? Und was ist überhaupt der Unterschied zwischen der einzigartigen Nutzung eines Galerieraums und dem neuesten platzsparenden IKEA-Zimmerdesign? In jedem der Fälle bewegt man sich jeweils in einem abgesteckten Raum. Für Greenberg war es die flache Leinwand, für Slobodniks Vater die Datscha und für Slobodnik selbst die erweiterte Bildebene.
Dagmara Genda, Künstlerin und Kunstkritikerin
In den Bildwerken von Anna Slobodnik bilden Muster, Rapporte und Abfolgen im Zusammenspiel mit Farben und Flächen, die in unterschiedlicher Dichte und Kontur dargestellt sind, die strukturelle Basis. Die Künstlerin ist interessiert daran, dass in diesen Symmetrien und Asymmetrien der Muster und Ornamente, „einerseits immer die Bildfläche als Fläche mit abgebildet (ist), gleichzeitig aber selbst eine Motivik entwickeln kann, die über diese Bildfläche hinausgeht“ (Artist Statement 2018).
Die Titel ihrer Bild-Zyklen wie Teppich und Tapete, sind das Gerüst ihrer künstlerischen Fragestellung, Muster und Ornamente wiederum ihre bildgebenden Elemente. Aber warum Muster und Ornamente? Steinzeitliche Ton-Krüge sind bereits mit Ornamenten verziert. Ornament und Muster gehören ebenso zur Architektur, sind in Kirchen, Kathedralen und Kreuzgängen sowie anderen Bauelementen wie Säulen, Erkern und als Stuck an Decken oder Hauseingängen zu finden. Abstrakt können sie ebenso als Stammeszeichen, bzw. Clanmuster, wie als Arabeske in der islamischen Kunst fungieren. Bildmächtig stehen Ornamente und Muster zwischen angewandter und bildender Kunst, sind nicht nur Beiwerk: Denn Muster und Ornament sind seit je her kulturell kodiert, bilden eine Bildmatrix mit eigenen Gesetzen, die grundlegend für eine Vielfalt anderer Darstellungsmöglichkeiten sein kann. Sie sind Schwergewichte, da ihre Funktionen Tiefgang haben. Stets sind sie auch Ausdruck transkultureller Vorgänge, können ebenso als politische Camouflage wirksam sein, da sie soziale Dimensionen als visuelle und stilistische Dispositive beinhalten.
Anna Slobodnik greift sie in ihren Arbeiten nunmehr konzeptionell als Ordnungsstrukturen des Sichtbaren auf.
Der kulturelle Transport läuft im Bildverständnis der Künstlerin im Hintergrund mit. Doch geht es ihr nicht darum historische Muster von Teppichen, Kacheln, Stoffen, Bauelementen & co. zu zitieren, sondern lehnt sich nur formal daran an, entwickelt ihre eigene Formensprache.
Auch in ihren sogenannten Legearbeiten greift die Künstlerin diese äußeren Merkmale auf. In dieser Serie, fügt Slobodnik stets gleich große, bemalte Papier- oder Leinwand-Teile zu einem größeren Bild, zusammen. Innerhalb eines einzelnen kleinen Segments haben die darauf gezeichneten Muster ihre eigene Ordnung, die wiederum im Zusammenspiel des zusammengesetzten ganzen Bildes eine übergeordnete Formensprache entwickeln und im Verbund mit der Architektur, den Fenstern, Türen und Möbeln wiederum sich anders im größeren Rahmen zueinander verorten. Mit diesem Shift von Bild und Objekt, Fläche und Inhalt befragt Anna Slobodnik die Systeme nach ihrer Haltbarkeit, Zusammensetzung oder allgegenwärtigen Herrschaft?
Dr. Heike Fuhlbrügge, Kuratorin und Kunsthistorikerin
Die Lithographien der jungen Berliner Künstlerin Anna Slobodnik setzen sich mit der Funktion von geometrischen Formen und Mustern auseinander – wie diese im politischen Kontext, in der Religion und auch in einer Alltagskultur verwendet werden, zu der unter anderem Teppiche, Stoffe und Tapeten gehören (bis zum 18. Januar in der Rathaus-Galerie Berlin-Reinickendorf). Auf den ersten Blick scheinen ihre Arbeiten klar geordnet. Berechenbar aber ist diese Ordnung nicht. Genau genommen ist kein Viereck wie das andere, kein Kreis entspricht dem neben dran – so wie jeder Mensch zu einem Ornament eine eigene Beziehung hat, die Teil seiner Wahrnehmung ist – uns so wirft Slobodnik die Frage auf: Was ist echt und was von Menschen als Wirklichkeit konstruiert? Man denkt, wenn man die Lithographien der 28-Jährigen sieht, die an der UdK Berlin studiert hat, an Sonia Delaunay. Slobodnik sagt, ihr Interesse sei auf die Zeit zurückzuführen, als ihre Eltern mit ihr als Kind aus Russland nach Deutschland kamen. „In der russischen Kultur, ebenso wie in der arabischen, ist das Muster ein sehr präsentes Element.“ Sie sei an den möglichen Zusammenhängen zwischen Muster und persönlicher kultureller Identität interessiert: ihrer eigenen ebenso wie der anderer Menschen, auch an der Frage, welche Bedeutung Muster als (Wieder-)Erkennungszeichen und identitätsstiftendes Moment haben.
Anne Ameri-Siemens, Autorin
veröffentlicht in: FAZ Nr. 47, 25.11.2018 S.46